Vom Nadelöhr zur Doppelspur.
Magazin14.04.2022Thomas Keiser
2012 wurde die Strecke zwischen Bahnhof Luzern und Kriens Mattenhof stillgelegt und durch einen neuen Doppelspurtunnel ersetzt. Ein letztes Nadelöhr blieb seither bestehen: Die Zufahrt zum Bahnhof Luzern verläuft ab der Langensandbrücke nach wie vor nur einspurig. Bis Ende 2021 wird die Luzerner Bahnhofzufahrt auf Doppelspur ausgebaut. Stephan Simioni, Bauherrenvertreter der Zentralbahn, zeigt die Baustelle.
Die Doppelspureinführung im Bahnhof Luzern ist momentan eines der grössten Bauprojekte der Zentralbahn. Das Grossprojekt ermöglicht eine Kapazitätserhöhung, einen stabileren Betrieb und eine für den Gast komfortablere Fahrt. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) führen das Gesamtprojekt im Namen der Zentralbahn aus. Stephan Simioni, Leiter Anlagen und Immobilien, verantwortet die Gesamtleitung in Zusammenarbeit mit Yass Röhricht, Projektleiterin der SBB, und vertritt die Zentralbahn als Bauherrin bei der Auftragnehmerin SBB. «Es sind zahlreiche Anlagen der SBB betroffen und müssen angepasst werden. Und die Schnittstellen zu weiteren Bereichen der SBB sind vielfältig und können dadurch einfacher gehandhabt werden Aus Ressourcengründen können wir dieses Grossprojekt ausserdem kaum selber stemmen, da brauchen wir Unterstützung, welche wir in den SBB mit ihren Erfahrungen in Grossprojekten finden.»
Menschen und bauen
Simioni führt geduldig durch die Projektsitzung. Auch mit herausfordernden Umständen wissen er und das Projektteam umzugehen. Man merkt ihm an, dass er ausgesprochen gerne mit Menschen zusammenarbeitet. «Ich bin generalistisch veranlagt, vielseitig interessiert und liebe das Zusammenspiel in einem guten Team.» Team ist ein gutes Stichwort: Für ihn ist klar, dass die Crew vor Ort grossartige Leistungen erbringt und sich tagtäglich ins Zeug legt, damit das Bauwerk termingerecht erstellt wird. «Bauen ist ein Kernthema, welches mich seit meiner Kindheit begleitet; mein Grossvater, mein Vater sowie mein Bruder wirkten und wirken im Baugewerbe oder bei der Bahn.» Der Bauherrenvertreter der Zentralbahn ist sich das Bauumfeld gewohnt. Bereits im Studium arbeitete er für Bahnprojekte, beispielsweise für die Durchmesserlinie in Zürich.
Zurück von der Sitzung zeigt Simioni auf dem Baufeld im Luzerner Bahnhof die Auswirkungen des Doppelspurausbaus der Zentralbahn im Bahnhof Luzern: «Eine Fläche in der Grösse von drei Fussballfeldern wird hier umgebaut. Wenn man etwas anfasst, gibt es eine Kettenreaktion. Mehrere Rangiergleise werden von der künftigen Doppelspur durchkreuzt. Bestehende Weichen und Gleise müssen angepasst werden, 41 Weichen werden zurückgebaut und 34 neue Weichen eingebaut. Total werden vier Kilometer zurückgebaut, darunter sieben Abstellgleise beim alten Postbahnhof. Ich bin froh, dass unsere Projektorganisation so gut aufgestellt ist und wir auf kompetente Planer und Unternehmer zählen können, um all diese Herausforderungen zu meistern.» Die Kosten sind immens, sie sind mit 72 Mio. CHF veranschlagt. Der hohe Preis ist der Komplexität geschuldet, in welcher das Bauprojekt realisiert wird. Finanziert wird der Doppelspurausbau mit dem Ausbauschritt 2025 des strategischen Entwicklungsprogramms des Bundes.
Seine Begeisterung für die Eisenbahn und für grosse Bahnbauwerke ist spürbar. Wie bei vielen wurde sein Interesse für die Bahn im Kindesalter geweckt. Als Jüngster genoss er viele Bahnreisen mit seinem Vater; und selbstverständlich wurde im Keller eine Modelleisenbahn aufgestellt. Heute schätzt er das grosse Angebot des öffentlichen Verkehrs (ÖV) und die unkomplizierte Nutzung. «Ich kann jederzeit einfach einsteigen, entspannt reisen und zurücklehnen ohne Stau. Bin ich beruflich unterwegs, nutze ich die Reisezeit für meine Arbeit.» Sein Lebensort und sein berufliches Wirken liegen in Sichtweite. Stephan Simioni, der mit seiner Frau und den beiden Kindern in der Stadt Luzern lebt, ist angetan von der Leuchtenstadt. «Die Nähe zum Wasser und zu den Bergen ist grossartig. Luzern bietet sehr viel und ist überschaubar, das gefällt uns.»
Warum ist eine Doppelspur nötig?
Auf die Frage, warum eine Doppelspur nötig sei, folgt die Antwort umgehend: «Für die Kundschaft bedeutet die Doppelspur ein grösseres Angebot, eine sehr hohe Pünktlichkeit der Züge und mehr Komfort. Durch den Umbau konnten wir die Anzahl Kreuzungen mit der Normalspur reduzieren, die Ein- und Ausfahrt in und vom Bahnhof Luzern wird künftig ruhiger sein. Wir stärken durch diese Investition auch unsere Position als Rückgrat der Verkehrsachse Luzern–Luzern Süd. Denn diese liegt in einem urbanen Gebiet, welches sich in den letzten Jahren stark entwickelt hat und künftig weiter wachsen wird.»
Luzern Süd wartet denn auch mit spannenden Zahlen auf: 8'000 neue Bewohnerinnen und Bewohner werden erwartet, 7'000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und 2'000 Studienplätze angeboten. Um die steigende Nachfrage abzudecken, ist im Angebot der Zentralbahn ab dem kommenden Fahrplanwechsel eine neue S-Bahnlinie Luzern–Horw (S41) vorgesehen. Voraussetzung für die Einführung der S41 ist die durchgehende Doppelspur in Luzern zwischen der Langensandbrücke und den Bahnhofsgleisen der Zentralbahn.
Die Herausforderungen beim Bau
Wo vor dem ersten Bahnhofbau (1856-1859) ein sumpfiges Gebiet vorherrschte, liegt heute das Gleisfeld. Der Baugrund ist entsprechend anspruchsvoll. Steckt man eine Schaufel in den Grund, trifft man vielfach auf Wasser. «Das Wasser müssen wir örtlich mit dem sogenannten Wellpoint-Verfahren absenken. Dabei saugen Vakuumpumpen Wasser ab und sammeln dieses in einem Becken um anschliessend das Wasser in die Sickerleitung einzuleiten», so Simioni. Die Arbeiten laufen trotz dieser und weiteren Herausforderungen programmmässig. Im Sommer wurden viele Arbeiten rund um die bestehenden Betriebsgleise ausgeführt, im Herbst wird die eigentliche Doppelspur gebaut, damit im Dezember 2021 die Doppelspur dem Betrieb übergeben werden kann.
Die Logistik bei diesem Bauwerk ist aufgrund des zeitgleichen Bahnbetriebs anspruchsvoll und komplex: Lastwagen, die Material bringen und Bauschutt abtransportieren, ein- und ausfahrende Züge, Strom auf den Fahrleitungen; all dies muss durch die Bauleitung und die Unternehmer koordiniert sein. Entsprechend zeitintensiv ist diese Arbeit. Rund 25 Arbeiter sind täglich von Montag bis Freitag gleichzeitig im Einsatz und bringen das Bauwerk voran. Zu Spitzenzeiten wird im Drei-Schicht-Betrieb während sechs Tagen gearbeitet.
Zwischenzeitlich hat die Abenddämmerung eingesetzt, die Bauscheinwerfer habe ihre Arbeit aufgenommen. Eine weitere Arbeitsschicht beginnt. Der Feierabend ist für Simioni in greifbarer Nähe. Morgen ist sein Papi-Tag. «Für Erholung und Abwechslung und eine ganz andere Herausforderung sorgt jeweils ein Tag pro Woche mit den Kindern». Obwohl ihn das Familienleben gut auslastet, findet er Zeit für seine sportlichen Interessen. Seit 2013 sitzt er im Organisationskomitee des SWISSMAN Xtreme Triathlon und zeichnet sich für die Rennleitung und Finanzen verantwortlich. Er legt seine Arbeitskleider ab, hängt sie im Baucontainer auf, packt seine Velotasche, verabschiedet sich und braust davon.
Impressionen vom Baufeld in Luzern
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