Sie haben Ihr Leben in den Dienst Gottes gelegt. Führten Sie schon als Kind ein bisschen ein anderes Leben als Ihre gleichartigen Kolleginnen und Kollegen? Wie sah Ihre Kindheit aus? War Ihre Berufung schon damals vorgeebnet?  

Ich lebte ganz normal wie alle anderen Kinder mit allem, was dazu gehört. Wir bildeten einen Detektiv Club «Das Rote U». Hauptsitz war im Keller des Christkatholischen Pfarramtes in Basel. Wir stellten Blödsinn an. Auch in der Realschule im Pestalozzischulhaus in Basel gab es die nötigen Reibereien. Ich war ein halbes Jahr im Fussballclub, machte einen Kurs für Kunst-Rollschuhfahren und noch vieles mehr. Bei allem faszinierten mich Heiligenlegenden und als Kind fand ich, im Gegensatz zu allen anderen, den Gottesdienst spannend und wollte auch immer eine «Tablette» vor der Erstkommunion. Meine Mutter war katholisch aus dem Hochschwarzwald und mein Vater war Protestant. Es gab kein Berufungserlebnis. Es war einfach die Überzeugung, dass Seelsorger sein, Priester sein, einer der spannendsten Berufe war und ist, den es gibt.  

Wann verspürten Sie definitiv den Drang, Ihr Leben Gott zu widmen und in die Kirche einzutreten? Wie haben Sie das gemerkt?  

Ich bin in Engelberg an unsere Stiftsschule in die zweite Gymiklasse gekommen und wusste, ich will die Matura, irgendwie schaffen, dann Theologie studieren und Priester werden. Das habe ich verfolgt und hier im Internat auch religiöse Anlässe gestaltet: Mai-Andachten, Kreuzwege, Gottesdienste gestaltet und die Ministranten als Schüler zwei Jahre lang betreut, da vom Kloster kein Mönch diese Aufgabe nach dem Tod des zuständigen Paters voll und ganz übernehmen wollte oder konnte. Schon in der siebten Gymiklasse kam die Frage auf: Ob Klosterleben nicht doch etwas für mich sein könnte. Für mich war klar: Engelberg sicher nicht. Es waren eher die Kamillianer im Ruhrpott in Heidhausen bei Essen. Am Schluss entschied ich mich doch für Engelberg, nachdem ich ein Jahr Theologie in Luzern studierte hatte und im Priesterseminar des Bistums Basel wohnte. Anscheinend hatte ich durch mein Engagement während der Gymizeit unbewusst schon etwas Wurzeln gefasst.  

Mit 27 Jahren – 1994 – empfingen Sie in der Abteikirche Engelberg die Priesterweihe. Inwieweit war das die Erfüllung Ihres inneren Wunsches?

Es war ein grosser und emotionaler Tag für mich und meine Eltern. Aber es schwang auch die innere Unsicherheit mit: Wirst du dem allem gerecht? Schaffst du dies alles? Und wenn du versagst? Ein Wagnis: Man springt ins Ungewisse und hofft, dass es gelingt. Wie beim Heiraten: Man hat ja keine Garantie. Denn man entwickelt sich selbst als Person und das ganze Drumherum verändert sich auch. 

1996 wurden Sie Pfarrer von Engelberg. Was zeichnete diese Aufgabe speziell aus?  

Dass hier der Pfarrer mit den finanziellen Mitteln sparsam umgehen muss, da es in Engelberg keine Kirchensteuer gibt. Ich hatte zum Glück einen guten Pfarreirat, den es heute nicht mehr gibt. Er begleitete mich bei pastoralen Fragen, bei Geldfragen und half tatkräftig mit. Das wichtigste war für mich: Wie komme ich an die Menschen? Wegen einem jungen «Schnuufer» kommen nicht mehr in die Kirche. So kam es dann, dass ich Mitglied im Jodlerklub Engelberg wurde und in der Theatergruppe Engelberg. Die Pfarrei hatte kein eigenes Musikleben: keinen Chor (Stiftschor war faktisch nur für das Kloster) und keinen eigenen Musiker (Organisten vom Kloster gestellt für Kirchenlieder). Aus einem Religionsunterrichtprojekt in der damaligen Sekundarschule entstand dann ein Gospelchor, den ich 10 Jahre führte. Mit dem Erscheinen des neuen Kirchen Gesangbuches entstand die Gesangsgruppe, die ich 13 Jahre führte. Der Pfarrer von Engelberg muss ein Allrounder sein.  

Welche Bedeutung hat für Sie generell die Seelsorgeraufgabe?  

Menschen begleiten in den Höhen und Tiefen ihres Lebens. Der Heilige Benedikt sagt in seiner Regel, dass der Abt in der Gemeinschaft Christus vergegenwärtige. Das war auch meine Aufgabe als Pfarrer. Nah bei den Menschen zu sein, damit nicht Entscheidungen entstehen, die von der Wirklichkeit weit weg sind. Am Puls der Menschen zu sein, damit sie auch spüren, dass ich ein Suchender bin und es auch für mich viele Fragezeichen gibt, trotz dem lieben Gott.  

2010 erfolgte schliesslich die Wahl zum 59. Abt des Benediktinerklosters Engelberg. Hat sich Ihr Traum erfüllt?  

Das war kein Traum, eher ein Albtraum. Meine Überzeugung war es, dass ich Pfarrer bleibe. Und dies war auch immer mein Kindertraum. Wer sich wünscht Abt oder Bischof zu werden, der hat wohl nicht richtig geträumt. Denn wie sagt der Heilige Benedikt in seiner Regel: «Der Abt muss wissen, welch schwierige und mühevolle Aufgabe er auf sich nimmt: Menschen zu führen und der Eigenart vieler zu dienen». Das ist sehr herausfordernd: «der Eigenart vieler zu dienen», das bringt einem oft an seine eigenen Grenzen. Denn der Abt ist eben nicht ein Oberbefehlshaber, sondern ein «liebender Vater» wie es Benedikt an anderer Stelle schreibt.  

Was zeichnet diese Aufgabe speziell aus? Ist es ein Traumberuf?  

Es ist kein Traumberuf, zumal nicht für mich. Vielleicht gibt es einen anderen Mitbruder, der hier seinen Traumberuf sieht. Das Spezielle ist, dass ich als Abt die letzte Verantwortung habe sowohl für die Wirtschaft, wie aber auch für das religiöse Leben. Und die Wirtschaft nimmt wohl den grössten Brocken ein, trotz angestelltem Geschäftsführer. Weil am Ende immer Abt und die Gemeinschaft Ja und Amen oder Nein und Amen, sagen muss. Der Abt ist also immer wieder an die Gemeinschaft zurückgebunden. Er ist nicht einfach ausserhalb der Gemeinschaft, sondern mitten drin. 

Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgaben?  

Die Hauptaufgabe ist sicher das Kloster auf ein gutes solides wirtschaftliches Fundament zu stellen, wie es schon Abt Anselm Villiger getan hatte. Denn nur so kann das Kloster auch gegen aussen wirken, die Schule weitertragen und die Aufgaben in der Pfarrei und in Kamerun erfüllen.  

Welche Ziele verfolgen Sie?  

Unser Kloster und unseren Ort Engelberg zu einem lebendigen Ort für Bildung und gelebten Glaubens werden zu lassen. Keine Angst: die Engelbergerinnen und Engelberger müssen nicht auf einmal ins Kloster. Das Kloster mit seinen vielfältigen Herausforderungen in Schule, Pfarrei und Mission hat da einiges an Erfahrung zu schenken. Und da durch das Verhalten der offiziellen Kirche unsere Seelsorge immer etwas mehr auseinanderbricht, haben die Klöster eine unbezahlbare Aufgabe und Funktion: Sie sind geerdete Lebens- und Glaubenswelten.

Als Abt von Engelberg sind Sie eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Ihr Wort findet Gehör. Ja, Sie gehören zu den Meinungsleadern. Inwieweit wagen Sie sich mit Kommentaren zum öffentlichen und politischen Geschehen aus dem Fenster? Welche Rolle versuchen Sie diesbezüglich umzusetzen?  

Also auf das politische Parkett begebe ich mich nicht. Gerne diskutiere ich mit Politikern im privaten Kreis politische Fragen. Aber mein Kerngeschäft ist der Glaube, das Spirituelle und religiöse Leben. Aber dort, wo der Glaube oder die Kirche angegriffen wird, da wehre ich mich schon. Wie ich es auch innerhalb der Kirche tue.  

Was können Sie als Abt überhaupt bewirken?  

Was heisst bewirken? Da nehme ich mir immer wieder das Wort des Heiligen Benedikt in seiner Regel zu Herzen:  «Der Abt sei nicht stürmisch und nicht ängstlich, nicht masslos und nicht engstirnig, nicht eifersüchtig und allzu argwöhnisch, sonst kommt er nie zur Ruhe». Ich kann also nur etwas bewirken, wenn andere mittragen und mitmachen. Ich bin kein «Herrscher».Gerade heute erhielt ich von einem Herrn die Bitte, ob ich mich als Abt nicht dafür einsetzen könnte, dass nun während Corona jeden Sonntag ein Gottesdienst am Schweizerfernsehen übertragen wird. Da habe ich keinen Einfluss und das Fernsehen sollte selbst spüren, dass dies in der jetzigen Situation ein Anliegen wäre. Und ich denke sogar, es ist ein ökumenisches Anliegen gemeinsam in solchen Zeiten zu feiern und einander noch mehr zu respektieren.  

Vermissen Sie nicht ein bisschen die Seelsorgearbeit – die Tätigkeit an der Front des Lebens?

Durch die vielen Firmungen, die ich zurzeit habe, komme ich mit vielen Jugendlichen, Eltern und Paten und Seelsorgeteams in Kontakt. Das ist spannend und abwechslungsreich. Aber mir fehlt schon die Seelsorge: Beistehen im Sterben, junge Eltern begleiten, Jugendlichen noch mehr aufzeigen, dass Kirche nicht allein das ist, was heute vor unseren Augen propagiert wird.  

In diesem Jahr kann das Kloster Engelberg sein 900-Jahr-Jubiläum feiern. Welche Bedeutung hat dieses Jubiläum für die Mönche und die Gemeinde Engelberg?  

Es ist ein Eintauchen zu unseren Wurzeln. Dem Stifter Konrad von Sellenbüren und den ersten Mönchen unter Abt Adelhelm zu danken, dass sie es hier gewagt haben etwas ganz Neues zu beginnen. Ein Beginn in einer rauen und herausfordernden Bergwelt. Sie laden uns ein, dass auch wir es nach 900 Jahren wieder tun, damit dieser Ort als lebendige Zelle des Glaubens erhalte bleiben kann.  

Welche Bedeutung hat das Kloster für die Bevölkerung und die Region? Ideell, kulturell und wirtschaftlich?  

Ich glaube, da gibt das neueste Engelberger Dokument einen lebendigen und abwechslungsreichen Einblick. Wir sind ein Ort der Bildung durch unsere Schule und unser monastisches Leben. Wir stehen mit vielen in Kontakt und versuchen miteinander im Gespräch das Jetzt und die Zukunft von Engelberg im Blick zu haben. Daneben sind wir der zweitgrösste Arbeitgeber im Tal und haben so eine klare wirtschaftliche Verantwortung. Daher sind wir nicht einfach fromme Mönche, sondern sind wirtschaftlich immer wieder herausgefordert.  

Welche Jubiläumsanlässe sind geplant?  

Dank Corona ist es bis jetzt ganz ruhig geblieben. Wie es weitergehen wird, kann ich zurzeit nicht sagen. Aber es gibt den Festkalender «Ein Jahr der Begegnungen» und dort sind alle Anlässe drin, abgesagte und vielleicht noch mögliche. Wir werden sehen. Und sonst gibt es noch das nächste Jahr. Wer den Festkalender möchte und auch unsere Jubiläumsbroschüre, der kann sich via Post oder info@kloster-engelberg.ch melden.  

Wird auch die Schweiz auf Ihr Jubiläum aufmerksam gemacht? Wie erreichen Sie das?  

Na ja, wir sind mit Homepage und einer eigenen Jubiläumsseite auf dem www. präsent. Durch unsere Jubiläumsbriefmarke sind wir auch irgendwie schweizweit präsent und dann auch durch die Berichterstattungen von vergangenen Anlässen und ich hoffe auch durch Zukünftige.  

Inwieweit ist die Zentralbahn in dieses Jubiläum involviert?  

Wir konnten die Zentralbahn als Transportpartnerin gewinnen. Das Kloster Engelberg pflegte während Jahrhunderten mit verschiedenen Gemeinden eine enge Beziehung. Im Zusammenhang mit dem Jubiläum arbeiten wir mit 13 Partnergemeinden zusammen. Getreu dem Motto «Begegnungen» werden wir im Jubiläumsjahr diese Begegnungen intensiv pflegen. Wir besuchen diese Gemeinden und sie besuchen uns. Wann immer es die Möglichkeiten ergeben, sollen die Anreisen nach Engelberg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen. Was liegt da also näher, als mit der Zentralbahn in unser herrliches Hochtal anzureisen. Wir sind stolz und dankbar dafür, dass uns dabei die Zentralbahn unterstützt.

Welchen Bezug hat generell das Kloster zur Zentralbahn?  

Jahrzehnte lang gab es eine sehr intensive Zusammenarbeit, da ja ein Grossteil vom Zentralbahntrasse auf dem Gemeindegebiet von Engelberg über Klosterland führte. Nicht zu vergessen der einst älteste Bahnhof der Schweiz, der sich im Herrenhaus Grafenort befand und den ich selber noch erlebte. Und jetzt haben wir beim Herrenhaus einen Bahnhof, beziehungsweis ein Perron der Weltklasse, wenn ich dies schmunzelnd so sagen darf. Während dem Bau des Tunnels zwischen Grafenort und Engelberg waren unsere Beziehungen durch die jährlichen Eucharistiefern am St. Barbara-Tag und dann die offizielle Einsegnung des Tunnels auch eng. Dies war übrigens meine erste Amtshandlung als neuer Abt.  

Welche Beziehungen haben Sie mit den Ortschaften entlang der Zentralbahn? Inwiefern spielt dafür die Zentralbahn eine wichtige Rolle?  

Nun ja, ich habe fast zu jedem Ort eine Beziehung: Grafenort ist klar durch das Herrenhaus. Wolfenschiessen, Dallenwil, Stans wegen den Firmungen; Niederrickenbach durch das Frauenkloster, das ich unter meinen «Fittichen» habe. Und in all diesen Orten leben einige Menschen, zu denen man eine Beziehung hat. 

Welche Bedeutung hat für Sie persönlich die Zentralbahn?  

Sie ist ein verbindendes Element durch unser ganzes Tal bis Luzern. Damit bringt sie mich nach Luzern, von dort nach Basel oder wohin auch immer. Die Anschlüsse sind zurzeit gut.  

Kommt Ihnen eine schöne Anekdote im Zusammenhang mit der Zentralbahn in den Sinn?  

Die Anekdote ist eher mit der LSE in Verbindung zu bringen. Als man damals noch in der Obermatt ins steile Zahnradteilstück einfuhr, mussten die längeren Wagenkompositionen geteilt werden. Da war es für uns Jugendliche schon ein gewisser Spass zuzusehen, wenn viele Touristen im Wagen waren und dabei ihre Getränke und Snacks auf dem Tischchen hatten. Und dann auf einmal ging es halt so steil den Berg hinauf, dass es immer wieder zu lustigen Szenen kam, wie die Touristen ihr Getränk und ihren Snack vor dem drohenden Abrutschen retten wollten. Das ist seit der Steilrampe durch den Tunnel vorbei.

Was schätzen Sie am meisten an der Zentralbahn?  

Man kann ohne Stress und Parkplatzprobleme nach Luzern. Aber auch in andere Städte. Seit ein paar Jahren sind für mich die Verbindungen nach Basel wieder attraktiver als vor fünf Jahren. Und, das darf man nicht unterschätzen: Die zb fährt bei uns durch eine ganz tolle und schöne Landschaft.  

Wo muss Ihrer Meinung nach die Zentralbahn noch ansetzen?  

Der grosse Wunsch: Halbstundentakt! Sonst ist alles da: nettes Personal und gute Infrastruktur, zumal, was ich mitbekomme. Ich muss ehrlich sein: Ich fahre bis jetzt mehr Auto. Da habe ich mehr Ruhe und Stille. Und meine Verpflichtungen bringen mich sonntags manchmal an abgelegene Orte, wo ich mit dem Zug auf diese Zeit nicht hinkommen kann.  

Was wollen Sie in Ihrem Leben noch erreichen?  

Upps, da halte ich es lieber wie der Heilige Don Bosco: «Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.» Ich glaube, das ist etwas, das wir als Menschen erst wieder einmal lernen müssen. Es geht mir nicht um Karriere, sondern um das Leben an und für sich und es sinnvoll und gut zu gestalten.  

«Hören – suchen – gestalten» ist der Leitgedanke des Jubiläumsjahres. Was bedeutet dieser für das Kloster und für sie persönlich?

Es ist ein Dreiklang, der aus der Regel und der Lebenserfahrung der Mönche kommt. «Hören» bedeutet immer wieder die Bereitschaft, sich neu ansprechen zu lassen, sich auf neues einzulassen. Nicht stehen zu bleiben, sondern sich zu hinterfragen und prüfen. «Suchen» muss nach dem hl. Benedikt eine Grundtugend des Mönches sein. Denn der Mönch muss ein Leben lang ein Suchender sein, sonst verpasst er seine klösterliche Berufung und letztlich, was der Wille Gottes ist. Dieses «Suchen» ist auch ein Zeichen des «Hörens»: man ist offen, auf das, was einem vertraut ist und doch so fremd. Das «Gestalten» ist dann die alltägliche Umsetzung ins Jetzt. Das Hören und Suchen brauchen eine Umsetzung. Es ist eine «fleischgewordene» Antwort, auf das, was der Mönch innerlich hin und her bewegt.  

Die Brüder und Pater stehen «normalerweise» nicht gerne im Rampenlicht. Wie war die Begeisterung der Gemeinschaft über das geplante Jubiläumsjahr?

Die Begeisterung hielt sich sehr in Grenzen. Denn die grosse Angst war, dass das Jubiläum die Gemeinschaft überfordern könnte. Darum wurde es so geplant, dass es die Gemeinschaft im Kern nicht voll trifft. Das heisst, wir haben 13 Partnerorte, die uns beim Feiern zur Hand gehen und die alte Verbindung wiederaufleben lassen, so dass vieles auch ausserhalb von Engelberg stattfindet. Corona bringt nun eine enorme Entschleunigung hinein, zumal sicher für mich. Und da war da noch der Gedanke: Was sollen wir denn feiern. Die absolute Grösse von 129 Mönchen von 1951 ist endgültig vorbei. Wir sterben doch aus?! Gegen so etwas wehre ich mich. Denn es widerspricht unserer 900-jährigen Geschichte und es widerspricht dem österlichen Glauben.  

Die 900-jährige Geschichte brachte nicht nur eitel Sonnenschein. Welche Zeitepochen waren schwierig für die Klostergemeinschaft?

Schon nach dem erstem Vorsteher, Abt Adelhelm (1120-1131 war er Abt) kam ein erster Einbruch. Es folgten drei Äbte, die dem Kloster absolut nicht guttaten. Anschliessend kamen Reformäbte aus der Abtei St. Blasien, um Engelberg wieder aufzupäppeln. Das taten die Äbte Frowin und Berchtold hervorragend: Sowohl theologisch wie auch durch das hauseigene Skriptorium. Die Zeiten der Pest: zweimal war nur noch ein Mönch im Haus. Die drei Klosterbrände: der letzte am 29. August 1729, als Folge, dass die Schüler mit ihrem Pater Chemielehrer Feierwerksraketen bastelten und Probestarts machten. Eine solche Rakete verursachte dann via Kirchendach den verheerenden Brand. Die Franzosen, die aber durch das kluge Handeln des Abtes im Bann gehalten wurden. Die ewigen Zollstreitereien mit Nidwalden, die Alpstreitigkeiten mit Uri, die versuchte Brandschatzung durch die Berner 1712 und … und… Ja, es gäbe einige mehr aufzulisten und natürlich jetzt auch die Herausforderung von Corona.  

Die Lebensform ist einerseits ein Suchen nach Gott und anderseits ein Gestalten der Welt. Wie funktioniert dies? Wie sieht diese Lebensform konkret im Alltag aus?

Schauen Sie, eigentlich «kämpfen» wir mit den gleichen Alltagsproblemen wie Sie: Wo kommt das Geld her, wie organisieren wir dies, wie gestalten wir das, wie….  Doch der Unterschied ist, dass wir uns 5-mal am Tag in der Kirche versammeln, um miteinander zu beten und zu feiern. Das sind täglich 3 Stunden gemeinsam in der Kirche vor Gott. Und selbst das Gebet ist nicht immer spannungsfrei: Der singt zu schnell, der lahmt hinter her, der ist wieder mal ein Ton zu tief, der singt zu expressionistisch… Aber dieses Einhalten des Gebetes erinnert uns doch bei allem immer wieder an eine andere Dimension des Lebens, als nur die Geschäftliche.  

Bis 1615 war das Kloster Engelberg ein Doppelkloster – sowohl für Mönche wie auch für Nonnen. 1615 übersiedelten die Nonnen nach Sarnen. Weshalb kam es damals zu dieser Separierung. Würde es der Klostergemeinschaft nicht guttun, würden auch wieder Nonnen hier leben?  

Frauen tun der Männergesellschaft immer gut. Nun ja, der geschichtliche Hauptgrund besteht aus zwei Gründen: 1602 wurde die Schweizer Benediktinerkongregation gegründet. Es war für Engelberg eine Auflage, das Frauenkloster aufzulösen oder zu verlegen. Denn Doppelklöstern haftete immer so ein zweideutiger Duft an, was aber nicht stimmte. Der zweite Grund: es waren in dieser Zeit 7 Nonnen. Das Frauenkloster war heruntergekommen, zumal baulich. Es besass aber grosse Schätze. So wollte der damalige Abt Benedikt Sigrist das Frauenkloster auflösen, die Wertgegenstände versteigern und mit dem Erlös ein Priorat, eine Zweigstelle von Engelberg, am Grab von Bruder Klaus errichten. Die «Mater Magistra», die Vorsteherin des Frauenklosters, liess sich dies nicht gefallen und wehrte sich kraftvoll. Überhaupt kann an unserer gemeinsamen Geschichte sehr gut nachverfolgt werden wie die «Klausur», der engste Wohnbereich der Mönche oder Nonnen, in den eigentlich nur sie Zutritt hatten, immer wie mehr verspiritualisiert wurde, um die Frauen hinter Schloss und Riegel zu bringen. Perfekt unterstrichen durch männliche Spiritualitätsideen.  

Bis zur französischen Revolution war der Abt von Engelberg der geistliche und weltliche Talherr. Inwieweit prägte das Kloster das Engelbergertal?  

Da Engelberg ein eigener Klosterstaat innerhalb der Eidgenossenschaft war und ein eigenes Gerichtswesen besass und eine eigene Milizarmee, nimmt es in der Geschichte der Schweiz eine Sonderstellung ein. Es war dem Abt immer wieder ein Anliegen, Arbeit ins Tal zu holen. Die von den Talrichtern gefällten Todesurteile wandelte er alle in Begnadigungen um. Der Abt war in den ersten Jahrhunderten der Gründung auch nach Ungarn gerufen worden, um zwischen zerstrittenen Parteien zu schlichten wie auch während der Reformation bei der zweiten Badener Disputation. Das jetzige Flussbett der Engelberger Aa in Engelberg wurde durch die Idee der Flusskorrektion von Abt Barnabas Bürki 1515 geschaffen, um den Talboden sicherer und bewohnbarer zu machen. Das Kloster hatte ein ausgeprägtes Armenwesen. Der Rest davon war die alte Tradition, die noch bis Abt Leonhard Bösch gelebt wurde: der Abt konnte als Götti für das erstgeborene Kind angefragt werden. Das gab dann einen Laib Käse und jedes Jahr einen kleinen «Batzen».  

Vermisst das Kloster heute die Einflussmöglichkeiten im Engelbergertal?

Ich glaube, dass wir dies nicht vermissen. Denn wir sind gut eingebunden in die Geschehnisse des Tales und mit den grossen Partnern wie Titlis-Bahnen, Brunni-Bahnen, Gemeinde, sowohl Einwohnergemeinde wie Bürgergemeinde, stehen wir in gegenseitigem Kontakt und Austausch. Es ist schön, aber auch herausfordernd, nicht alleine auf dem Weg zu sein oder allein alles bestimmen zu müssen.  

Das Kloster Engelberg besitzt die grösste Orgel der Schweiz. Inwiefern spüren Sie aufgrund der Besuche, dass diese Orgel von grosser Bedeutung ist?  

Gruppen wünschen immer wieder ein Orgelrezital, wenn sie sich für eine Führung anmelden. Das klappt halt nicht immer, da nicht immer ein Organist zur Verfügung steht. Es gibt einige Anfragen von Organisten, auf dieser Orgel spielen zu dürfen. Aber wir halten diese Anfragen klein. Sonst kommen wir nicht zur Ruhe. Ausserdem ist sie nicht jedermanns oder jederfrau Musikinstrument.  

Fremde, Gäste, Freunde. Bereits Benedikt empfing in seiner ersten Gründung Montecassino Besucher. Inwiefern spielt die Beherbergung eine Rolle für die Klostergemeinschaft?

Zurzeit als der Heilige Benedikt lebte, herrschte in Europa eine grosse Völkerwanderung. So waren die Klöster Inseln der Ruhe, Bildung, Wissens und des Pilgerns. So sind Engelberg und unzählige andere Klöster auch heute Inseln der Besinnung und schenken Momente, die Welt mal wieder anders zu sehen. Mit einem Blick der Transzendenz. Die Gäste sind ja nicht alle «brav». Sie hinterfragen manchmal unsere Lebensart und das ist gut so. Das bewahrt davor, dass wir einschlafen.  

Ursprünglich hätte das Kloster in Buochs gebaut werden sollen. Weshalb kam dies nicht zustande und wurde schliesslich in Engelberg errichtet?  

Nun ja, sehr wahrscheinlich wollte der liebe Gott nicht, dass die Mönche in Buochs am See «herumsünnelen» und das Strandleben geniessen. Darum hat er seine Engel geschickt, um den begonnenen Bau in der Nacht wieder abzureissen. Und die Muttergottes lud den Stifter Konrad von Sellenbüren ein, seinen Ochsen mit einem Baumstamm fortziehen zu lassen und dort, wo er stehen bleiben sollte, soll das Kloster entstehen. Das sagt die Legende, und so ist es in der Pfarrkirche Buochs in der Marienkapelle auch dargestellt. Der Grund war wohl, dass die Familie Sellenbüren und das Kloster Muri/AG, aus dem die ersten Mönche kamen, im Hochtal Alpen und Land besassen.  

Welche Beziehung hat das Kloster heute zu Buochs?  

Eine freundschaftliche. Man kennt sich und vor zwei Jahren durfte ich den Pfarrer von Buochs während seiner Sabbatzeit als Hilfspfarrer vertreten. Ab und zu habe ich immer noch Aushilfen in Buochs wie auch gewisse Mitbrüder, wenn es Notfälle gibt.

Das Kloster hat Beziehungen zu verschiedenen Orten entlang dem Streckennetz der Zentralbahn. Welche historische Beziehung hat das Kloster zu Stans? Gibt es dazu interessante Fakten bzw. Legenden oder Anekdoten?  

Es ist klar: Stans ist die Mutterpfarrei des ganzen Tales. Kinder mussten in Stans getauft werden, weil da der Taufbrunnen stand. 1144 wurde dann offiziell die Pfarrei Engelberg gegründet und die Klosterkirche wurde auch Pfarrkirche. Der Abt ist der eigentliche Pfarrer von Engelberg. Er delegiert diese Aufgabe aber einem Mitbruder und ernennt ihn zum Pfarrer. Die Beziehung zwischen Stans und Engelberg kennt auch getrübte Zeiten: Die Kirchgenossen wehrten sich gegen einen Leutpriester aus dem Kloster, den sie nicht wollten. Der Abt wehrte sich dagegen mit allen Mitteln. Denn Stans war eine gute Pfründe. Doch Bruder Klaus ermahnte die Mönche von Engelberg mit klaren Worten, den Willen der Kirchgenossen zu respektieren, was das Kloster tat. Dazu gehört auch die Geschichte mit der Kapelle unter dem Härd (Erde). Der Abt verhängte das Interdikt über Stans. Das heisst: es durften keine Sakramente gespendet werden: keine Messen feiern, kein Beichthören, keine Taufen, keine Firmungen, keine Hochzeiten. Die Kirchgenossen von Stans und der Abt konnten sich einfach nicht einigen. Sture Köpfe auf beiden Seiten. Deshalb verhängt der Abt das Interdikt, mit dem er die Kirchgenossen kleinkriegen wollte.   Da baute man die Kapelle unter dem Härd und feierte dort die Sakramente. Denn es hiess nur «über der Erde» sei es verboten die Sakramente zu feiern. Gelebte Kirche. Wichtig ist: die Parteien haben sich wieder vertragen.  

… und zu Stansstad?

Dort sind die Mönche per Schiff gelandet und dann weiter nach Engelberg hinaufgezogen. Dazu kam, dass Stansstad schon zu Beginn der Klostergründung ein grosses Problem hatte: Es waren keine Fische mehr in diesem Seeteil zu finden. Daraufhin baten die Stansstader den Engelberger Abt Berchtold, dass er zu ihnen kommen und den See segne. Abt Berchtold tat dies und sogleich kamen die Fische zurück. Aus diesem Grund hat Stansstad dem Kloster, ich glaube bis 1855, einen Fischzoll geschuldet, der aber erst 1966 aus dem Grundbuch getilgt wurde. Stansstad war natürlich eine wichtiger Sust-Punkt für die Güter nach Engelberg.  

… zu Sarnen?

Da besteht die Beziehung grundlegend, indem die Nonnen 1615 nach Sarnen verlegt wurden. Etwas später wurde die Beziehung doch enger: durch Abt Karl Stadler, der sich einsetzte, dass Engelberg von Nidwalden zu Obwalden wechselte. Die Nidwaldner wollten die Verträge von Wien nicht anerkennen. Und der Abt wollte ein Blutvergiessen durch Abstrafung für Engelberg verhindern. Darum kam es 1815 dazu, dass Engelberg zu Obwalden geschlagen wurde und Sarnen wurde nun für Engelberg zur Kantonshauptstadt. Wenn es mir recht ist, hatte Sarnen mehr mit dem Kloster Einsiedeln zu tun als mit uns.  

… zu Lungern?  

Die Pfarrei Lungern wurde 1303/05 dem Kloster Engelberg inkorporiert. Das heisst, die Nutzungsrechte bekam das Kloster. Dafür musste das Kloster den Seelsorger stellen. Das Kloster musste für den Unterhalt des Seelsorgers aufkommen, sei es bei einem eigenen Mitbruder oder wenn es auch ein Weltgeistlicher war. Doch schon 1450 wurde Lungern als Pfarrei selbstständig. Der Abt behielt nur das Präsentationsrecht. Das bedeutet: Der Abt schlägt (präsentiert) dem Bischof den neuen Seelsorger vor. Das war wichtig in Zeiten, wenn der Bischof nicht ein Mann der Seelsorge und der Gläubigen war. Der Bischof durfte gegen den Willen des Abtes nicht seinen Kandidaten durchsetzen. Übrigens das Präsentationsrecht in den verschiedenen Pfarreien brachte dem Abt von Engelberg häufig negative Einträge beim Nuntius. Denn der Abt stellte sich auch häufig als Schutzschild vor die Gläubigen gegen den Bischof. Sei es gegen jene Bischöfe von Konstanz oder dann auch Chur. Trotz den Meinungsdifferenzen beauftragte der Bischof von Konstanz den Abt von Engelberg, die Geschäfte für die Urschweiz zwei Jahre lang zu übernehmen als er selbst nicht in die Urschweiz reisen konnte.  

… zu Kerns?

Da verhält es sich ähnlich wie in Lungern. Diese Verbindung dauerte von 1307 bis 1464. Das Kloster Engelberg erwarb die Pfarrei vom Stift Beromünster, in dessen Besitz Kerns war. Der Abt verkaufte den Kirchgenossen von Kerns die Rechte der Pfarrei und behielt bis heute das Präsentationsrecht. Auch stammte aus Kerns der einzige Obwaldner Abt unseres Klosters, Abt Benedikt Sigrist (1603-1619). Er wollte am Grab von Bruder Klaus eine Filiale von Engelberg erbauen. Siehe auch die Ausführungen unter dem Stichwort «Doppelkloster Engelberg».  

… und zu Brienz?

Das ist eine alte Liebe, wenn ich dies so sagen darf. Brienz wird erstmals 1212 durch Kaiser Friedrich II. offiziell im Besitz des Klosters Engelberg bestätigt und blieb bis zur Reformation 1528 unter der Obhut von Engelberg. Das Kloster Engelberg stellte in dieser Zeit den Pfarrer. Bekannt ist hier der «Brienzer Ornat», ein grüner Samtornat mit Stickereien, der in unserem Ausstellungsraum zu finden ist. Während dem Zweiten Weltkrieg wurden die Beziehungen zwischen Brienz und Engelberg wieder etwas lebendig, da der damalige Abt Leodegar Hunkeler 1941 in der neuerbauten Kapelle im Chor ein Glasfenster stiftete. Zum aktuellen Kloster-Jubiläum hat Holzbildhauer Mario Fuchs aus Hofstetten bei Brienz die Statue des Heiligen Adelhelm entworfen. Sie ziert, sobald es möglich sein wird, im Klosterhof die Begegnungszone für das Jubiläum: Adelhelm steckt seinen Abtsstab in die Erde und bringt eine Quelle zum Sprudeln.  

Welche Rolle spielt das Kloster Engelberg für den Fremdenverkehr?  

Das Kloster ist ein Ort der Kultur und Bildung. Durch Konzerte und die gefeierte Liturgie sind wir für viele Menschen ein wichtiger Ort gelebter Kultur und gelebten Glaubens. Die Führungen durch das Kloster und das Ausstellen von Kunstschätzen sind für Touristen auch immer wieder ein Stück Kultur und ein Eintauchen in die Geschichte. Dazukommt die Stiftsschule. Viele ehemalige Schüler und Schülerinnen bleiben Engelberg treu und haben hier eine Wohnung, ein Ferienhäuschen.  

Generell: Welche Rolle wünscht sich das Kloster für Engelberg und die Talgemeinschaft?  

Dass wir als Partner weiterhin im Gespräch bleiben und mithelfen, diesen Ort sinnvoll und gut zu gestalten für die gesamte Bevölkerung. 

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Dies ist ein Beitrag aus dem Magazin «hin und weg». Die gedruckte Version finden Sie an den Bahnhöfen Engelberg, Sarnen, Stans und Meiringen, in allen Reisezentren sowie auf dem Zug. Gerne senden wir Ihnen das Magazin auch nach Hause. Schicken Sie dazu eine Mail an hello@zentralbahn.ch mit dem Betreff «Magazin hin und weg abonnieren» und Ihrer Postadresse als Nachricht.